Im Sommersemester 2024 ist Prof. Dr. Abdelmajid Naceur von der Universität Tunis zu Gast am Arbeitsbereich Erwachsenenbildung und Lebenslanges Lernen. Hier stellt sich Abdelmajid Naceur ein wenig genauer vor.
Interview mit Prof. Dr. Abdelmajid Naceur (Universität Tunis) am 12. Juni 2024 anlässlich seines viermonatigen DAAD-Aufenthalts an der Universität Hamburg, Arbeitsbereich Erwachsenenbildung und Lebenslanges Lernen
Dein Aufenthalt in diesem Jahr an unserer Fakultät ist nicht Dein erster Besuch in Deutschland. Kannst Du uns Deine früheren Etappen in Deutschland beschreiben? Oder anders formuliert: Warum sprichst Du so gut Deutsch?
Durch mein Studium (1992-1997) in der Erziehungswissenschaft mein Psychologiestudium sowie meine Promotion an der Universität Bielefeld bin ich bereits früh mit der deutschen Sprache in Kontakt gekommen. Auch nach meinem Studium in Deutschland habe ich weiterhin Kontakt zu Lehrenden und Forschenden in Bielefeld gehalten.
In Hamburg ist auch das UNESCO Institut für Lebenslanges Lernen (UIL) zuhause. Welche Erfahrungen hast Du mit dem UIL bereits gemacht und welche Aktivitäten sind für den aktuellen Aufenthalt geplant?
Meinen ersten Kontakt mit dem UIL in Hamburg hatte ich im Jahr 2020 im Rahmen eines Austauschs zwischen dem DVV International (Institut für Internationale Zusammenarbeit des Deutschen Volkshochschul-Verbandes) in Nordafrika und der Forschungseinheit, die ich an der Universität Tunis leite. Das Projekt sollte Alphabetisierungsprogramme in Tunesien unterstützen.
Unser Vorhaben während dieses Aufenthalts besteht darin, die Verbindungen zum UIL zu festigen und gemeinsam Handlungsforschung zur Verbesserung psychologischer Aspekte (Motivation, Selbstwertgefühl und Entscheidungstreffen) bei Erwachsenen mit geringerer Literalität – also geringer Lese- und Schreibkompetenz – durchzuführen.
Du gibst in diesem Sommersemester drei Veranstaltungen. Wie ist Dein Eindruck von den Hamburger Studierenden?
Der Schwerpunkt meiner Kurse für dieses Semester in Hamburg liegt auf den sozialpsychologischen Aspekten in der Erwachsenenbildung. Ich bemerke ich eine positive Dynamik: Der Austausch zwischen den Studierenden im Seminar ist meist lebendig und offen und die Auseinandersetzung mit dem Lernstoff ist intensiv.
Sie reflektieren oft über die Möglichkeit, wie theoretische Elemente im täglichen Leben angewendet werden können. Weiterhin ist mir aufgefallen, dass sie sich sehr für gesellschaftspolitische Themen interessieren.
Du bist in Tunesien im Bereich der Bildungspolitik aktiv. Was sind dort Deine Schwerpunkte und was können wir in Deutschland daraus lernen?
Tunesien ist ein Land mit langer Tradition und Geschichte. Es liegt an der Schnittstelle europäischer, afrikanischer und arabischer Entwicklungslinien. Das Land hat eine beachtliche politische und wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere in der letzten Dekade, hinter sich gebracht und kann zu Recht als „Vorreiter“ im Kontext der bildungsseitigen Entwicklung im nordafrikanischen Raum bezeichnet werden.
Dennoch bestehen weiterhin umfassende Entwicklungshürden und Aufgaben im Bereich des Bildungssektors, insbesondere auf der Ebene der Berufsbildung und beruflichen Weiterbildung.
Eine weitere, ernstzunehmende Herausforderung stellt das Schulleben dar: Wir stellen fest, dass die außerschulischen Aktivitäten völlig außer Acht gelassen werden. Die Schule ist nur noch ein Ort der Zertifizierung von Wissen. Unser Projekt soll die Schule zu einem Ort des Lebens und der Entwicklung machen.
Wir helfen allen Lernenden dabei, sich als ganze Person gesehen und berücksichtigt zu fühlen. Die Schule muss für jede Person einen Sinn und Zweck haben. Es muss ein Klima des Vertrauens aufgebaut werden, das die Schule zu einem wertvollen Ort des Zusammenlebens macht.
Der Arbeitsbereich Lebenslanges Lernen, bei dem Du zu Gast bist, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Alphabetisierung und Grundbildung. Als Psychologe hast Du zu dem Thema sicherlich spezifische Einschätzungen, was den Alltag und das Lernen von Erwachsenen angeht, die nicht gut lesen und schreiben können.
Die Grundlagenforschung zur Alphabetisierung hat sich im Rahmen nationaler und internationaler Programme (UNESCO, OECD usw.) häufig auf ihre sozioökonomischen und beruflichen Folgen konzentriert. Ich denke, dass Studien, die sich auf die kognitiven und emotionalen Dimensionen der Alphabetisierung konzentrieren, immer noch sehr selten sind.
Es ist wichtig, psychologische Studien durchzuführen, um uns genau darüber aufzuklären, welche Auswirkung die Alphabetisierung auf die Entwicklung einer Person hat und welche Gründe für das Auftreten bestimmter Reaktionen verantwortlich sind.
Gibt es Aspekte, Erfahrungen und Ideen, die Du von der Uni Hamburg mit nach Tunis nehmen wirst?
Zwei grundlegende Erfahrungen, die ich im Uni-Alltag der Uni Hamburg erlebe, haben mich besonders beeindruckt. Das ist erst einmal die Teamarbeit und die offene Kommunikation und die positiven Emotionen, die ich bei meinem Austausch erlebe. Alle fühlen sich sicher und respektiert im Team und kommunizieren gleichberechtigt und auf Augenhöhe miteinander. Das ist meines Erachtens die Basis dafür, die gemeinsame Arbeit laufend zu reflektieren und verbessern zu können.
Das zweite ist das praxisorientierte Studium: Es bietet nicht nur die Möglichkeit, die beruflichen Perspektiven zu erkunden, sondern auch die direkte Anwendung der erworbenen Kenntnisse und Methoden in der Praxis zu verstehen. Die Studierenden lernen, wie sie theoretische Konzepte in den verschiedenen Lebensbereichen praktisch anwenden können.
Vielen Dank für das Interview!